Die Tierhölle Polens - TH Radysy


Eine Intervention nie dagewesener Größenordnung fand am 17.06.2020 von langer Hand vorbereitet und unter strengster Geheimhaltung im Tierheim Radysy (oberhalb von Warschau) statt. Involviert und vor Ort waren die Verantwortlichen der zuständigen Staatsanwaltschaft, der Zollbehörde, des Polizeipräsidiums sowie zahlreiche Tierschutzorganisationen und unzählige Freiwillige.


Um unseren Lesern eine möglichst detaillierte Zusammenfassung dieses Horrorszenarios liefern zu können, stehen wir bereits seit vergangener Woche mit unseren polnischen Mitstreiterinnen in regem Kontakt. Sylwia hat uns nun freundlicherweise einen Text ins Deutsche übersetzt, der von
Aleksandra Śniecikowska, Inspektor ds. ochrony zwierząt, Fundacji Mondo Cane in facebook veröffentlicht wurde.


Intervention im TH Radysy am 17.06.2020

Das Warten auf den Tag der Intervention war für uns alle eine Zeit großer Angst. Am Tag vor der geplanten Intervention, am 16.06.2020, trafen wir uns alle zu einem letzten Briefing an dem zuvor festgelegten Ort. Eine Woche zuvor trafen sich Vertreter der an der Intervention beteiligten Organisationen mit dem Staatsanwalt und Vertretern der Polizei und die jeweiligen Aufgaben wurden verteilt.

Wir gingen in verschiedene Hotels, um nicht zu viel Interesse zu wecken, und die Emotionen wuchsen. Wir konnten nicht schlafen.

Um 6:00 Uhr betrat die Staatsanwaltschaft von Olsztyn zusammen mit dem Polizeipräsidium und dem Zolldienst von Olsztyn das Tierheim in Radysy. Inspektionen, Durchsuchungen und mühsame Beweissicherungen begannen.

Um 7:00 Uhr trafen wir uns alle einige Kilometer vor Radysy und erregten großes Interesse bei den Einwohnern. Zahlreiche gekennzeichnete Interventionspatrouillen und Mitglieder der Organisation selbst in ihren Uniformen waren eine große Überraschung. Wir warteten auf ein Polizeisignal. Endlich kam dieser Moment. Wir gingen zum „verdammten“ Radysy. Das Bewusstsein, an diesem Durchbruch teilzunehmen, war ermutigend und gleichzeitig der Gedanke an das, was wir finden können - erschreckend.

Wir kamen im Tierheim an, aufgeteilt in Gruppen und nach der letzten Besprechung mit dem Staatsanwalt und einem Veterinärexperten gingen wir schließlich für Tausende von Tieren durch die Tore der Hölle - der letzte Weg in ihrem tragischen Leben. Unsere Augen haben Bilder gesehen, die uns jeden Tag mehr und mehr verfolgen. Sie lassen uns nicht mehr schlafen, sie erlauben nicht sich gedanklich zu sammeln, sie erlauben nicht normal zu funktionieren und das Leben zu genießen. Ich denke wir erleben so etwas wie posttraumatischen Stress bei Soldaten.

Das erste was unsere Sinne angreift ist der erstickende Geruch von Urin, verfaultem Fleisch, von dem Tiere gefüttert wurden, Kot von überall...

Je näher wir kommen desto mehr Lärm, Bellen, gruseliges Heulen, das Jammern vielleicht leidender Tiere, vielleicht einander beißend und…

Die ersten Welpen wurden rausgenommen ... Parvovirus, eine tödliche ansteckende Krankheit. Noch mehr Welpen kommen heraus und es gibt auch Staupe.

Bis jetzt besteht meine Methode zur Kontrolle von Emotionen darin Augenkontakt zu vermeiden, aber es gab überall so viele Augen, diese Augen voller Angst vor Menschen, Leiden, Schmerz, Mangel an Hoffnung.

Tränen steigen einem in die Augen, die Hände und der ganze Körper sind von Krämpfen betroffen, die du um jeden Preis kontrollieren musst. Du kannst dich nicht gehen lassen, weil du dann nicht mehr brauchbar bist und nicht weiter helfen kannst. Du kannst nur helfen, wenn du hart bist.

Trotz der frühen Morgenstunden war es schon sehr heiß, mit jeder Stunde wurde es nur noch schlimmer. Aber wir konnten uns in Gruppen umziehen, wir konnten rausgehen, Wasser trinken, uns entspannen ...
Die Hunde hatten keine Wahl, kein Wasser, kein Schutz vor der Sonne. Schmutzige, gebissene, nicht sterilisierte Hündinnen mit nicht kastrierten Rüden zusammen, Schwangere mit Pyodermie (bakterielle Hautinfektion), Tumoren und eingewachsenen Krallen sowie beißende Rüden.

Ein Bild von toten Tieren in Boxen, einschließlich eines Welpen, der bereits von Larven gefressen wurde. Dieses Hundebaby liegt mit ein paar anderen, noch lebenden Welpen zusammen. Andere Leichen, bereits mumifiziert, getrocknet und als nächstes in einem Zustand des Verfalls, sichtbare Knochen und Larven von Fliegen ... man mag sich nicht vorstellen was passiert, wenn Welpen in kleinen Ställen mit erwachsenen nicht kastrierten Rüden geboren werden ... Werden sie auseinandergerissen?

Blinde alte Hündinnen, fettleibig, kaum lebendig, mit Kreislaufinsuffizienz und dann er ... ein Rüde, fettleibiger älterer Hund, ein bisschen wie ein Amstaff, schwer atmend, am Rande von Leben und Tod.  Schnelles Handeln ist gefragt, die einzige Chance ist schnelles Abkühlen und Sauerstoffversorgung. Schubkarre, Wasser. Grzegorz fragt: "Gehst du mit ihm in die Klinik?"
Natürlich gehen wir sofort in die Klinik von MP Katarzyna Piekarska. Kämpfen gegen die Zeit und beten für ein Wunder. Die längsten 35 km meines Lebens mit einem sterbenden Hund.

In der Klinik verliert er das Bewusstsein, aber er kämpft, er gibt nicht auf. Es gibt bereits einen Welpen in der selben Klinik, den Basia Zarudzka als erste bekam - Parvovirus.

Der Hund bleibt dort, wir kehren zur Hölle zurück. Einen Moment des Durchatmens und zurück zu den Boxen. Zunächst sucht jeder nach einem Chip, danach eine Sichtprüfung, ein Foto, eine weitere Nummer in unserem Fotokatalog und eine Beschreibung. Wir setzen einen Punkt neben dem Hund, dessen Leben und Gesundheit bedroht ist und der sofort raus muss. Dann warten wir auf die Erlaubnis des Gerichtsexperten, dass sie das TH verlassen dürfen. Diese Hunde in Lebensgefahr gehen dann sofort in nahegelegene Kliniken, aber teilweise auch in die bis zu 150 km von Radysy entfernten. Viele lebensrettende Transporte.

Die nächsten alptraumhaften Stunden vergehen, die Hitze erhöht die Infernalität dieses Ortes, ein Sturm kommt auf und unterbricht unsere Aktivitäten für einen Moment. Dadurch gibt es einen Moment der Ruhe.

Facebook läuft heiß. Tausende von polnischen Menschen auch die, die im Ausland leben und wissen, wo dieser Ort ist, folgen mit angehaltenem Atem auf unsere nächsten Berichte.

Leute aus der Gegend schicken uns Wasser, Kaffee und Essen. Sie unterstützen so viel wie sie können.

Die nächsten Stunden vergehen, es gibt immer weniger von uns, andere mussten gehen und nahmen auch Tiere mit, die sofort in die Kliniken mussten.

Es stellt sich heraus, dass es (2.400)  1.070 Tiere gibt, nicht 2.300 wie gedacht.
Die 16. Stunde der Intervention vergeht, wir betreten die Quarantäne. Es ist schwierig die Tränen zu kontrollieren, aber wir haben keine Kraft zu weinen, andere Gruppen katalogisieren immer noch andere Tiere, viele Sektoren, Viertel, Tiere ...

Die 19. Stunde der Intervention vergeht, ein weiterer Alptraum in dieser Hölle, das sogenannte "Krankenhaus". Hunde die in Plastikboxen liegen, es gibt offene Frakturen, Abmagerungen, Atembeschwerden.
Wir sammeln so viel wir können, soweit der Gerichtsexperte dies zulässt.

Endlich, nach fast 23 Stunden ist es 3:00 Uhr nachts, absolut alles tut weh.

Die letzten "Kennels" werden geladen, die letzten Transporte gehen raus, es ist völlig dunkel, wir räumen hinter uns auf und schließlich verlassen wir die Hölle.

Wir haben getan was wir konnten. Der Rest der Tiere, die wir nicht raus nehmen konnten mussten bleiben. Wir haben immer noch ihre Bilder vor unseren Augen. Einerseits Glück und Hoffnung, dass dies der Anfang vom Ende ist, dass dieses Todeslager hoffentlich bald nicht mehr existiert und andererseits dieses Bedauern, diese Angst und diese Unzufriedenheit für diejenigen, die in der Hölle geblieben sind. Wir gehen furchtbar schmerzend ins Bett, wenn der Sonnenaufgang bereits über Pisz ist. Vor Ermüdung fallen einem die Augenlider zu.

Der Schlaf ist nur kurz, am Morgen werden wir durch schreckliche Schmerzen am ganzen Körper geweckt, einige Körperteile spüren wir gar nicht mehr. Wir sagen uns, dass es vergehen wird, aber es wird jeden Tag schlimmer.
Facebook steht nach wie vor nicht still, der Dank vermischt sich mit Anschuldigungen, dass so wenige Hunde gerettet wurden, obwohl so viel Geld gesammelt wurde ...

Und wir denken nur daran, diese Hölle zu beenden.
 

Ich möchte und ich muss mich bei einigen Leuten bedanken, ohne die eine Intervention nicht möglich gewesen wäre:

1. Halina Nerkowska und Magda Muczyńska, zwei große polnische Frauen aus Deutschland und den USA, die ganze Monate lang Informationen sammelten, die die Staatsanwaltschaft zum Handeln überzeugten - ohne Sie könnten wir nicht einmal von dieser Intervention träumen.
2. Staatsanwalt Michał Choromański - ein hervorragender und professioneller Mann.
3. Dem Leiter der Staatsanwaltschaft in Olsztyn sowie Hunderte wundervoller Polizisten.
4. Fantastische Leute von Organisationen, die an der Intervention teilgenommen haben und unabhängig von gegenseitigen Feindseligkeiten 22 grausame, aber hoffnungsvolle Stunden zusammen verbracht haben.
5. Grzegorz Bielawski für die brillante Organisation und Koordination von Interventionen und was er in den nächsten zwei Jahren tun wird. Dafür, dass er nach unserer Abreise im TH geblieben ist und immer noch hart arbeiten wird.
6. Anonyme Sponsoren von Facebook, die uns dreimal ohne Vorankündigung ein Pizzaauto schickten, andere schickten ganze Packungen Wasser.
7. Anwohner aus der Umgebung sowie Leute, die uns Kaffee brachten und viele Kilometer zurücklegten.
8. Alle, die den ganzen Tag mit ihren Gedanken bei uns waren, einschließlich Joanna Stańczyk, die ans Bett gefesselt so viel half, wie sie konnte. Sie war es auch, die zum Sammeln zahlreicher Unterlagen beitrug.
9. Für unsere tapferen MONDO CANE-Mädchen mit unserer Präsidentin Katarzyna Śliwa-Łobacz sind wir ein echtes Team.



Beitrag vom 07.07.2020

Bericht vom 12.07.20



Beitrag vom 19.07.20



Beiträge vom 21.07.2020



 



 

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